- Pubertät: Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein
- Pubertät: Zeit zwischen Kindheit und ErwachsenseinDer Eintritt ins Erwachsensein, der in einem längeren Prozess mit der Pubertät beginnt, findet beim Menschen vergleichsweise spät statt. Menschen haben eine sehr lange Kindheit und Jugend und beginnen spät mit der Fortpflanzung, haben dann aber eine lange Spanne der Fruchtbarkeit zur Verfügung, weil sie ein hohes Alter erreichen können. So beträgt die fruchtbare Spanne bei Frauen 30—35 Jahre, bei Männern ist sie deutlich länger.Der zeitliche Verlauf der körperlichen Veränderungen in der Pubertät variiert stark und hängt von genetischen Faktoren und von den umgebenden Lebensbedingungen ab. In den hoch entwickelten Industrieländern liegt der Zeitpunkt der Menarche heute knapp unter 12 Jahren. Vor drei Generationen, also um 1900, trat die Menarche wesentlich später ein, etwa um das 15. Lebensjahr. Der weibliche Körper verfügt offenbar über einen sehr sinnvollen und flexiblen Steuerungsmechanismus für den Beginn der Fortpflanzungsfähigkeit. Ihn kann man wie folgt beschreiben: Wenn die Lebensbedingungen sehr gut sind, ausreichend Nahrung zur Verfügung steht und keine langen Abwehrkämpfe gegen schwächende Krankheiten geführt werden müssen, ist die Situation günstig, das erste Kind zu bekommen, ist das aber nicht der Fall, ist es besser, diesen Zeitpunkt später eintreten zu lassen. Einer der Faktoren, die den Eintritt der Menarche steuern, ist die Dicke des Unterhautfettgewebes — ein Zeichen für die gute Verfügbarkeit von hochwertiger Nahrung. Unabhängig von den Lebensbedingungen, tritt die Pubertät bei den Jungen etwa 11/2 bis 2 Jahre später ein als bei den Mädchen.Die Ausprägung der GeschlechtsmerkmaleIn der Pubertät werden die typischen Kennzeichen der primären Geschlechtsmerkmale akzentuiert und die sekundären Geschlechtsmerkmale herausgebildet. Bei Mädchen ist im Allgemeinen das Wachstum der Brust das erste Zeichen der beginnenden Pubertät. Die Brustwarzen beginnen sich zu vergrößern und bald darauf bildet sich in der Nähe der Brustwarzen das erste typische weibliche Brustdrüsengewebe. In dieser Phase erscheinen normalerweise auch die ersten Schamhaare, und es setzt ein deutlicher Wachstumsschub ein. Die Produktion des weiblichen Sexualhormons Östrogen in den Eierstöcken läuft nun auf Hochtouren, was wiederum zu einer Anlagerung von Fettgewebe im Bereich der Hüfte führt. So entsteht nach und nach die typische weibliche Silhouette, die in den meisten Kulturen auch das weibliche Schönheitsideal darstellt.Der Kehlkopf unterliegt auch bei den Mädchen einem Umbau, sodass die Stimme die Charakteristika erwachsener Frauen annimmt, doch ist dieser Wechsel weit weniger ausgeprägt als bei Jungen, die oft einen regelrechten »Stimmbruch« haben. Auch im Körper der Mädchen wird nun Testosteron (eigentlich das typische männliche Sexualhormon) gebildet, das im weiblichen Geschlecht die Aufgabe hat, das Wachstum anzuschieben und die sekundäre Behaarung in der Genitalgegend und in den Achselhöhlen zu bewirken. Die erste Menstruation ist dann der deutlich wahrnehmbare Schlusspunkt der Pubertät, wenn auch die eigentliche Reproduktionsfähigkeit noch einige Monate bis längstens zwei Jahre auf sich warten lassen kann, da sich stabile Menstruationszyklen nach der Menarche erst im Laufe der Zeit etablieren.Bei Jungen lässt sich der Beginn der Pubertät normalerweise daran erkennen, dass Hoden und Hodensack sich vergrößern und die Haut des Hodensacks sich stark faltet und eine rötliche Färbung annimmt. In dieser Phase erscheint im Regelfall auch die erste Schambehaarung, die sich in ihrer vollen Ausprägung erst etliche Jahre später in eine Richtung Nabel ziehende Haarlinie verlängert und so die typisch männliche Konfiguration aufweist. Die Genitalbehaarung der Frauen bildet hingegen typischerweise ein mehr oder weniger gut definiertes Dreieck mit oben liegender Basis.Etwa ein Jahr nach den ersten Pubertätszeichen beginnt beim Jungen normalerweise eine Phase deutlichen Längenwachstums, und zwar in einer Wachstumsrate, die zuvor nur im Alter von etwa zwei Jahren aufgetreten war. Mädchen beginnen im Gegensatz dazu ihre Pubertät oft mit einem Längenschub. Nun, mit etwa 13 Jahren, beginnt der Penis ebenfalls zu wachsen, ebenso die Prostata und die anderen Drüsen, die später erforderlich sein werden, um ein befruchtungsfähiges Ejakulat zu produzieren. Die erste Ejakulation erfolgt mit etwa 14 Jahren. Ob Jungen bald nach Auftreten der ersten Ejakulation bereits zeugungsfähig sind oder nicht, ist derzeit noch nicht bekannt. Allerdings ist der zeitliche Ablauf dieser Reifungsvorgänge individuell sehr unterschiedlich und auch (ähnlich wie die Menarche bei den Mädchen) stark von den Lebensbedingungen wie Nahrung und Krankheit abhängig. In der letzten Phase der männlichen Pubertät, etwa zwei Jahre nach Auftreten der ersten Schambehaarung, beginnen Haare unter den Achseln, an anderen Stellen des Körpers, zum Beispiel auf der Brust, und auch als Barthaare zu sprießen. Auch in dieser Region des erwachsen werdenden Körpers ist eine bestimmte Reihenfolge der Ereignisse zu beobachten: Erst erscheint der Bartflaum an den Ecken der Oberlippe, dann breitet er sich auf die gesamte Oberlippe aus, anschließend auf den Wangen, dann in der Mittellinie unterhalb der Unterlippe und schließlich in Richtung seitliches und unteres Kinn. Auch an diesen Details kann man erkennen, wie präzise normalerweise die Reifungsvorgänge genetisch gesteuert sind; das trifft natürlich auch für die nicht sichtbaren Vorgänge im Innern des Körpers von Mädchen und Jungen zu.Bei Jungen benötigt der Gesamtprozess der Pubertät etwa zwei bis maximal fünf Jahre, bei Mädchen etwa eineinhalb bis maximal sechs Jahre. Eine Reihe von Störungen kann dazu führen, dass die sexuelle Reifung entweder viel zu früh, zu spät oder gar nicht einsetzt. Die früheste wissenschaftlich dokumentierte normale Schwangerschaft wurde per Kaiserschnitt beendet, als das betreffende Mädchen fünf Jahre und acht Monate alt war; das Neugeborene war gesund. Erbliche Faktoren, Hormon- und Stoffwechselstörungen sowie Umgebungsfaktoren tragen zu (glücklicherweise selten derart drastischen) Beschleunigungen oder Verzögerungen des Eintritts der Reife bei.Die psychischen Veränderungen in der PubertätDie Pubertät ist eine subjektiv sehr deutlich wahrgenommene Phase der Veränderung. In vielen Fällen bilden sich Mitesser und als Folge davon die typischen Aknepickel der Heranwachsenden. Jungen leiden wegen der höheren Freisetzung des männlichen Sexualhormons Testosteron hierunter mehr als Mädchen. Meistens sind die Jugendlichen dadurch emotional belastet, gerade weil sie in dieser Zeit besonders kritisch sich selbst gegenüber sind.Bedingt durch ihre psychische und mentale Verfassung sind mehr oder weniger deutliche Zeichen der — manchmal krisenhaften — Veränderungen zu bemerken. Dazu gehören die für die Eltern oft schmerzhafte Loslösung von den Gebräuchen und Normen, die für die Elterngeneration insgesamt und spezifisch für das jeweilige Elternpaar Orientierungscharakter hatten. Psychobiologisch ist das keineswegs überraschend, denn der junge Mensch befindet sich nun seitens seiner Psyche und seiner Gedankenwelt in einem Prozess der Vorbereitung auf ein weitgehend selbst gestaltetes Leben. Dafür ist ein großes Maß an Unabhängigkeit erforderlich; sie wird durch die verschiedenen Entwicklungsschritte im Heranwachsenden auch biologisch vorbereitet.Das Einsetzen der Reife ist nicht nur ein biologisches Phänomen, sondern besonders ein geistig-psychisches. Daher ist die säkulare Vorverlegung der Pubertät (das Menarchealter liegt wie erwähnt in einigen Ländern Europas inzwischen unter 12 Jahren) ein Vorgang, der evolutionär wohl kaum vorgesehen war. Mädchen werden heute also viel früher geschlechtsreif, aber ihre geistige, seelische und soziale Entwicklung kann mit dem Sturmschritt der körperlichen Reifung gar nicht mithalten. Dreizehnjährige sind in aller Regel den Anforderungen des Mutterseins nicht gewachsen. Die Frage, wie es zu einer solchen biologischen Anomalie in den modernen Industriegesellschaften kommen konnte, kann hier nur gestreift werden. Offenbar hat es in der langen Geschichte der Entstehung des Menschen, in der unsere körperlichen, geistigen und seelischen Eigenschaften herausgebildet und im genetischen Code verankert wurden, keine Phase gegeben, in der die Ernährung so überoptimal und den Körper belastende Krankheiten so selten waren wie heute. Die Konstruktion des menschlichen Organismus wurde in der evolutionär relevanten Umwelt der letzten paar Millionen Jahre geformt, angepasst an die damaligen Lebensbedingungen. Möglicherweise spielen für die so unbiologische Vorverlegung der Reife auch andere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel die durch künstliches Licht veränderten chronobiologischen Bedingungen und intensive psychische und mentale Reize, wie sie für das Fernsehen und andere Elemente unserer reizerfüllten modernen Welt typisch sind.An die Pubertät schließt sich die Adoleszenz an, die biologisch als die Zeit zwischen dem Abschluss der Pubertät und dem Erreichen der maximalen Körperlänge definiert wird. Bei Mädchen ist das (wieder mit großen individuellen Abweichungen) etwa um das 16., bei Jungen um das 18. Lebensjahr der Fall. Das ist auch das Alter, in dem in vielen Kulturen junge Frauen und Männer wichtige eigene Entscheidungen wie die Aufnahme von Geschlechtsverkehr oder die Frage einer Heirat selber treffen können.InitiationsritenIn allen Gesellschaften besteht eine auffällige Tendenz, die an sich mehr oder weniger kontinuierliche Reifung von Mädchen und Jungen in Abschnitte zu unterteilen und den Übergang von einem Stadium in das andere mit oft religiös bedeutsamen Zeremonien zu feiern. Auch in unserer eigenen Tradition sind derartige Übergangs- oder Initiationsriten verbreitet. Die Taufe ist in vom Christentum geprägten Kulturen der erste Ritus im Lebensgang eines Menschen; im Judentum und im Islam tritt bei den Jungen die Beschneidung an diese Stelle. Bisweilen wird der erste Kindergartentag, oft der erste Schultag gefeiert, Letzterer mit der Schultüte. Dieses Prinzip des Beschenktwerdens ist, neben der lebensgeschichtlichen und der religiösen Bedeutung der Initiationsriten, ein wiederkehrendes Motiv auch in den meisten der folgenden Zeremonien. Die erste Kommunion ist für die katholischen Kinder ein solcher wichtiger Einschnitt. Für die protestantischen Kinder wird mit etwa 14 Jahren die Konfirmation gefeiert, bei den Katholiken entspricht dem ein zweiter Initiationsritus, die Firmung. Beide Riten markieren das Erreichen einer neuen Lebensphase.In anderen Kulturen finden sich entsprechende Bräuche. Die Zeremonien sind für Jungen meistens zahlreicher und ausgeprägter (wie im Fall der Beschneidung) als für Mädchen. Möglicherweise hängt das (neben einer in den meisten Gesellschaften feststellbaren Bevorzugung männlicher Nachkommen) mit der größeren Gefährdung der Jungen durch Krankheiten und einer höheren Sterblichkeit zusammen. In den Papua-Gesellschaften des Hochlands von Neuguinea sagen die Einheimischen: »Die Jungen müssen wir aus den Händen ihrer Mütter nehmen und sie durch die Initiation zu richtigen Männern machen. Bei den Mädchen braucht man sich diese Mühe nicht machen, sie wachsen von allein zu Frauen heran.«In einigen Kulturen sind aber auch Initiationsriten für Mädchen üblich, die oft zeitlich und inhaltlich mit der Menarche zusammenfallen. In manchen islamischen Ländern Afrikas ist die aus unserer Sicht grausame Sitte nach wie vor verbreitet, Mädchen in diesem Alter nicht nur in einer weiblichen Beschneidung die Klitoris zu entfernen, sondern auch einen großen Teil der kleinen Schamlippen wegzuschneiden und die so entstandene große Wunde so weit zusammenzunähen, dass nur mehr ein kleiner Ausgang für Urin und Menstrualblut bleibt. Frauenrechtlerinnen aus verschiedenen Ländern haben sich immer wieder gegen die Beibehaltung dieser Sitte ausgesprochen, doch selbst gut ausgebildete junge Frauen entscheiden sich für die verstümmelnde Operation, weil sie sich sonst nicht als vollwertige Mitglieder ihrer Gesellschaft fühlen würden.In der früheren DDR hatte sich, entsprechend der antireligiösen Ausrichtung des Staates, eine Ersatzinitiation ausgebildet: Die Kinder gingen statt zur ersten Kommunion oder zur Konfirmation zur Jugendweihe. Interessanterweise hat diese säkulare Version des Initiationsritus das politische System überlebt. Nach wie vor entscheiden sich viele Eltern und Kinder in den neuen Bundesländern für diese Form der Reifefeier. Das psychologische Bedürfnis nach einem solchen Fest, einer Zäsur im Leben des Kindes und der Familie, ist offenbar sehr groß und unabhängig von der jeweiligen politischen oder religiösen Umgebung.In den letzten Jahrzehnten haben Jugendliche ihre eigenen Initiationsriten erfunden und weiterentwickelt. Dazu gehören die verschiedenen Haar- und Kleidermoden, die Einnahme von Drogen wie Ecstasy oder das Piercen. Diese Sitte des Durchbohrens verschiedener Körperteile ist in vielen Kulturen verbreitet und ist oft, aber nicht notwendigerweise, mit Initiationsriten verknüpft. Der so ausgestattete junge Mensch zeigt in seinem Äußeren deutlich sichtbar an, zu welchem Stamm (in unserer modernen Gesellschaft: zu welcher Subkultur) er gehört. Das Bedürfnis nach einem solchen am Körper erkennbaren Bekenntnis ist offenbar so groß, dass die Jugendlichen neue Zeichen und Rituale erfinden, wenn ihnen die alten nicht mehr passend erscheinen. So zeigt sich auch in den Reaktionen der jungen Menschen auf ihre Position im Zwischenreich der biologischen Stadien und sozialen Rollen, dass wir von starken biopsychischen Motiven bewegt werden.Dr. Sabine Schiefenhövel-Barthel und Prof. Dr. Wulf SchiefenhövelBarlow, Steve / Skidmore, Steve: Die härtesten Jahre oder wie man die Pubertät überlebt. Aus dem Englischen. Wien 1998.Heidemann, Rudolf: Erziehung in der Zeit der Pubertät. Pädagogische Grundfragen des Jugendalters. Heidelberg 21981.
Universal-Lexikon. 2012.